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Künstliche Intelligenz in der Zahnmedizin: Realität oder Wunschgedanke?


Der Einsatz KI-gestützter Bildanalytik in der Zahnmedizin birgt viel Potenzial, auch für die zahnärztliche Praxis. Die Autoren geben einen aktuellen Überblick der Studienlage und stellen die vier Schritte, vor, welche eine KI-gestützte Anwendung von der Entwicklung bis hin zur klinischen Anwendung durchlaufen muss. Sie sind Mitgründer der dentalXrai GmbH, eines Start-ups, welches ein KI-gestütztes Diagnoseassistenzsystem entwickelt hat.




Einführung


Künstliche Intelligenz (KI) und maschinel- les Lernen (ML) sind heute nicht nur reine Forschungsthemen, sondern auch für die Wirtschaft hochrelevante Geschäftsfelder. Der Begriff KI wurde Mitte der 1950er-Jahre geprägt, jedoch veränderte sich die Begriffsdefinition über die Zeit aufgrund seiner universellen Natur und des sozio-technologischen Wandels. In dem American National Standard Dictionary of Information Technology (ANSDIT 1996) wird KI definiert als: „Die Fähigkeit eines Geräts, Funktionen auszuführen, die normalerweise mit menschlicher Intelligenz ver- bunden sind, wie z. B. Denken, Lernen und Selbstverbesserung.“1 In der Medizin, vornehmlich in der medizinischen Bildanalyse, wird KI bereits heute erfolgreich eingesetzt. Insbesondere die Anwendung von sogenannten Konvolutionalen Neuronalen Netzwerken (Convolutional Neural Networks, CNNs) ermöglicht das Erkennen von Krankheiten (z. B. Hauterkankungen, Pathologien auf Röntgenbildern, Erkrankungen des Auges) mit übermenschlicher Geschwindigkeit und mit einer mit Experten vergleichbaren Genauigkeit.2–5 Dies kann Diagnosen und Behandlungen sicherer, personalisierter und effizienter machen. Das menschliche Auge kombiniert das Farb- und Kontrastsehen mit erlernter Strukturerkennung, während KI-Algorithmen Bilder pixelbasiert analysieren und abstrahieren. Diese unterschiedliche Art „zu sehen“ führt dazu, dass einige Aufgaben, die für den Menschen relativ schwierig erscheinen, von Algorithmen einfacher zu bewältigen sind. Gleichzeitig können aber auch für den Menschen einfache Aufgaben Algorithmen vor große Probleme stellen. Die Zahnmedizin stand in den vergangenen Jahren bei der KI-gestützten Bildanalytik allerdings weniger im Fokus. Dies überrascht, da eine bildgebende Diagnostik in der Zahnmedizin oft unverzichtbar ist: Die zahnärztliche Röntgenologie macht beispielsweise mehr als die Hälfte aller in der Medizin aufgenommenen Röntgenaufnahmen aus.6 Des Weiteren ist der Ausbildungsabschnitt, in dem angehende Zahnärzte speziell in der Bild- diagnostik (u. a. Röntgenbilder) unterwiesen werden, relativ kurz: Ein Facharzt für Radiologie durchläuft eine um ein Vielfaches längere Spezialausbildung, um ein Experte für Diagnostik zu werden.7 Aus diesen Gründen wäre eine KI-gestützte Bildanalytik gerade für unerfahrene Zahnärzte eine hilfreiche Unterstützung.Blogging gives your site a voice, so let your business’ personality shine through. Choose a great image to feature in your post or add a video for extra engagement. Are you ready to get started? Simply create a new post now.


Studienlage


Wissenschaftliche Studien, die CNNs er- folgreich anwenden, um zahnmedizini- sche Strukturen (Zähne, Knochen) oder Pathologien (Karies, apikale Läsionen) zu detektieren und klassifizieren, verwenden meist kleine Datensätze (< 10.000 Bilder). Ein breites und experimentelles Metho- denspektrum und eine geringe Berichts- qualität führen dazu, dass die Mehrzahl der Studien und die entwickelten KI-Lösungen oft nicht robust und generalisierbar sind. 8,9 Zudem ist der klinische Einsatz von KI-An- wendungen bisher nur in den seltensten Fällen untersucht worden. Eine wissen- schaftlich fundierte mehrdimensionale Bewertung des Nutzens für den Patienten durch KI-Anwendungen findet bisher zu selten statt. Dort, wo allerdings ein solcher Nutzen evaluiert wird, sind die Ergebnisse vielver- sprechend: Unsere Arbeitsgruppe hat in einer Studie ein CNN zur Detektion von Karies in Bissflügelaufnahmen untersucht. Hierbei konnte eine signifikant bessere Sensitivität des CNN im Vergleich zu Zahnärzten zur Erkennung früher Karies gezeigt werden (für vorangeschrittene Karies war der Unterschied begrenzt).10 Bei Einsatz eines solchen CNNs in der Praxis könnten Zahnärzte frühzeitiger und weniger invasiv Karies therapieren, was hilft, Zähne langfristig zu erhalten.11,12 Zahnärzte sollten verstehen, wie KI- basierte Bilddiagnostik funktioniert und entsprechende Softwareanwendungen entwickelt werden. Sie sollten auch in die Lage versetzt werden, KI-Anwendungen kritisch zu begutachten. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Entwicklungsschritte einer KI-gestützten Anwendung von der Planung bis hin zur klinischen Anwendung.

Von der fundierten Planung zum klinisch anwendbaren Algorithmus

Erster Schritt: Definition des Anwendungszieles sowie der notwendigen Datengrundlage Es ist wichtig, frühzeitig das Ziel und den Umfang der KI-Anwendung zu definieren. Anwendungsziele können zum Beispiel die Detektion von Kariesläsionen in Biss- flügelaufnahmen oder apikalen Läsionen auf Panoramaschichtaufnahmen sein. In dieser frühen Phase sollten bereits regu- latorische Anforderungen, Ethik und Da- tenschutz berücksichtigt und eingeplant werden. Ein Schlüsselfaktor bei der Entwicklung von KI-Modellen sind Daten. Um einen generalisierbaren Algorithmus zu entwi- ckeln, sollten möglichst Daten aus ver- schiedenen Datenquellen (Kliniken, Pa- tientengruppen, Geräteherstellern) genutzt werden, damit das Modell letztendlich generalisierbare und robuste Vorhersa- gen treffen kann. Insbesondere in der Zahnmedizin sind Datensätze häufig klein und wenig repräsentativ. Das heißt wiede- rum, dass zum Beispiel eine Pathologie unterrepräsentiert ist, was das Training von KI-Modellen erschwert. Dem kann durch bestimmte Strategien wie z.B. Da- tenaugmentierung begegnet werden.

Zweiter Schritt: Modellentwicklung Die Entwicklung eines KI-Modells erfolgt durch das sogenannte Training. Auf dem Trainingsdatensatz wird üblicherweise zunächst durch Zahnärzte das Anwen- dungsziel (apikale Läsion, Karies) markiert (mit einem Kästchen eingegrenzt oder ausgemalt). Diesen Prozess nennt man Annotation. Oftmals werden die Bilder nicht nur von einem, sondern von mehre- ren Ärzten annotiert, um einen gewissen Qualitätsstandard sicherzustellen und die individuelle Varianz bei der Befundung zu überwinden. Zum Training von KI-Model- len werden dann Datensätze aus dem je- weiligen Bild und den zugeordneten Ko- ordinaten der Annotation (apikale Läsion, Karies) eingesetzt. Vorab muss entschieden werden, wel- cher Modelltyp eingesetzt werden soll: Unterschiedliche Modelle erfordern un- terschiedliche Herangehensweisen. Oft- mals wird ein Klassifizierungsmodell an- gewendet, bei dem das Bild mit einer relativ unspezifischen Information verse- hen ist, wie zum Beispiel „eine Kariesläsion ist am Bild vorhanden?“. Ein Modell, das auf einen solchen Datensatz trainiert wird, kann dann auch genau eine solche Frage beantworten („Ja, dieses Bild enthält Ka- ries“); es wird nicht ausgeben, wo im Bild sich die Kariesläsion befindet (weil diese Informationen auch nicht Teil der Ein- gangsdaten waren). Eine andere Möglichkeit stellen Detek- tionsmodelle dar, bei denen Zielobjekte (z. B. Karies) mit einem Kästchen ausge- wiesen werden. Trainiert auf einem Da- tensatz aus Bildern und zugeordneten Kästchen, wird das Modell schlussendlich auch solche Kästchen zur Darstellung et- waiger Detektionen auf neuen Bildern ausgeben. Verwendet man Segmentie- rungsmodelle, werden Annotationen pi- xelbasiert vorgenommen, entsprechend trainierte Modelle heben dann die ge- suchten Objekte pixelweise, z. B. farblich, auf dem zu analysierenden Bild hervor (Abb. 1). Sind ausreichend Daten anno- tiert, kann das Modell trainiert werden. Durch Wiederholung und Iteration wird das neuronale Netzwerk optimiert, indem der Vorhersagefehler minimiert wird. Ein trainiertes neuronales Netzwerk ist dann in der Lage, auf neuen Daten Vorhersagen mit sehr hoher Genauigkeit zu treffen.




Dritter Schritt: Testen Ist das KI-Modell trainiert, muss geprüft werden, wie gut das Modell auf bisher ungesehenen Bildern funktioniert. Bei der Entwicklung von Modellen ist es oft eine der größten Herausforderungen, für solch einen Testdatensatz einen soliden „Goldstandard“ zu definieren. In Labor- studien wird dieser Goldstandard oft durch einen histologisch gesicherten Be- fund etabliert; dies ist klinisch kaum möglich. Ein geläufiger Ansatz ist die Mehrfachannotation desselben Bildes, zum Beispiel mit drei Ärzten. Das Modell kann dann an diesen neuen Bildern de- monstrieren, „was es kann“: Hierzu wer- den nach der Testung Genauigkeitsme- triken wie die Sensitivität, die Spezifität oder die Fläche unter der sogenannten ROC-Kurve (Receiver-Operating-Charac- teristics; Grenzwertoptimierungskurve) eingesetzt.

Vierter Schritt: Klinische Implementierung Mit den oben genannten Schritten kann unter idealen Umständen ein valides, kli- nisch einsetzbares KI-Modell entwickelt werden. Dieses gilt es, als nächstes in eine Software einzubetten, die wiederum als Medizinprodukt zertifiziert werden muss. Ist dies erfolgt, wird die Applikation im kli- nischen Alltag implementiert, bspw. über die Integration in die Patientenmanage- mentsoftware, die Bildverarbeitungssoft- ware eines Röntgengeräteherstellers oder als unabhängig laufende Befundungs- software (Abb. 2). In Deutschland gibt es bisher zwei Fir- men, die mit ihrer KI-basierten Software die zahnmedizinische Bilddiagnostik un- terstützen wollen und alle o. g. Schritte durchlaufen haben. Eine dieser zwei Fir- men ist die dentalXrai GmbH, eine Aus- gründung der Charité – Universitätsme- dizin Berlin (die Autoren sind Mitgründer). Die an der Charité entwickelte Software bietet zurzeit die Analyse von Panorama- schichtaufnahmen und Bissflügelauf- nahmen an. Das zweite Unternehmen, CellmatiQ mit Sitz in Hamburg, zielt da- rauf ab, die Auswertung und Befundung von Fernröntgenseitenbildern in der Kie- ferorthopädie zu erleichtern.




Zusammenfassung


KI-Anwendungen überschreiten gerade die Schwelle zum zahnärztlichen Alltag. Moderne KI-Software unter Rückgriff auf CNNs oder andere Ansätze des maschi- nellen Lernens werden in einem mehrschrittigen Prozess entwickelt und ver- sprechen, den Zahnarzt in seiner Praxis zu unterstützen und zudem die Befund- und Reportqualität zu erhöhen. Fragen zur Generalisierbarkeit und Robustheit der Anwendungen sollten kritisch be- leuchtet und der Alltagsnutzen solcher Anwendungen demonstriert werden.



[April 2021, 02/21] Dentalzeitung DZ

Autoren: Dr. Robert Gaudin, Dr. Joachim Krois, Prof. Dr. Falk Schwendicke / Berlin


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